Einige ERLÄUTERUNGEN zum Koordinierungstreffen
(1) MANDAT
Die
Teilnehmenden der 3. Frankfurter Prostitutionstage vom November 2014
haben Doña Carmen e.V., Organisation für die sozialen und politischen
Rechte von Prostituierten, beauftragt, Initiativen zu ergreifen für die
Durchführung einer bundesweit unterstützten, zentralen Protestaktion
gegen die geplante repressive Reglementierung von Sexarbeit in der
[lexicon]Prostitution[/lexicon]. Das ist der Grund, warum wir uns heute mit diesem
Schreiben an Sie wenden.
(2) BREITES BÜNDNIS:
Unser Schreiben
richtet sich an Interessenvertretungen und Beratungsstellen der
Sexarbeiter/innen, an Betreiber/innen und Firmen im
Prostitutionsgewerbe, an Organisationen aus dem Umkreis von
demokratischen Bürgerrechtsbewegungen, an politische Parteien und
Verbände, an Gewerkschaften, Wissenschaftler und Künstler/innen etc.
(3) PLÄNE DER BUNDESREGIERUNG
Ausgangspunkt
unserer Initiative sind die Bestrebungen der Großen Koalition von
CDU/CSU und SPD, Sexarbeit im Prostitutionsgewerbe in allernächster Zeit
einer umfassenden repressiven Kontrolle und Überwachung zu unterwerfen,
die die Rechte der darin Tätigen mit Füßen tritt. Seit dem 3. Februar
2015 wissen wir, dass wir es bei der geplanten Prostitutions-Regulierung
mit folgenden Kernpunkten zu tun haben:
Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten – bereits ab 2 Frauen in der Wohnungsprostitution!
Meldepflicht für Sexarbeiter/innen – jedes Jahr aufs Neue! Unter 21-Jährige sogar alle sechs Monate!
Beratungszwang für Sexarbeiter/innen bei Ärzten ihrer Wahl - jedes Jahr aus Neue! Unter 21-Jährige sogar alle sechs Monate!
Kondomzwang
für Prostitutionskunden – unkontrollierbar für Betreiber, mithin
Steilvorlage für Schließungen bei Verstößen / Abschreckung für Kunden,
weil Sexarbeiter/innen als gesundheitliches „Risiko“ präsentiert werden!
Bundeseinheitliche jederzeitige, unangekündigte, anlasslose und verdachtsunabhängige Kontrollbefugnisse der Polizei!
Verbot behördlich unliebsamer Prostitutionsangebote wie etwa ‚Flatrate-Sex‘!
Es
geht hier nicht – wie gerne behauptet - um den „Schutz“ von Frauen in
der [lexicon]Prostitution[/lexicon] oder vorrangig um eine „Verbesserung der
Arbeitsbedingungen“ durch Mindeststandards, sondern um Entmündigung,
Entrechtung und berufliche Existenzvernichtung der im
Prostitutionsgewerbe tätigen Menschen.
(4) KONSEQUENZEN FÜR SEXARBEITER
Für
Sexarbeiter/innen in der [lexicon]Prostitution[/lexicon] hat die von der Großen Koalition
geplante Prostitutions-Reglementierung sehr konkrete, durchweg negative
Folgen:
- ABSCHRECKUNG: Angst vor Offenlegung einer
gesellschaftlich stigmatisierten Berufstätigkeit soll Einsteiger/innen
maximal abschrecken;
- ZWANGSOUTING aller in der [lexicon]Prostitution[/lexicon]
tätiger Frauen durch Meldepflicht und Hurenpass trotz bestehender
gesellschaftlicher Stigmatisierung;
- TOTALÜBERWACHUNG: durch die
keiner anderen Berufsgruppe zugemutete Meldepflicht an jedem einzelnen
Tätigkeitsort entsteht ein lückenloses Bewegungsprofil;
-
ILLEGALISIERUNG und ABSCHIEBUNG: die absehbare Nicht-Befolgung der
Meldepflicht als Selbstschutz vor Stigmatisierung und Diskriminierung
ist eine Illegalisierung mit der Folge von Bußgeldzahlungen bzw.
Abschiebung ausländischer Frauen bei mehrmaligen Zuwiderhandeln;
-
GEZIELTE VERARMUNG: Der Einstieg in die Bestrafung der
Prostitutionskunden setzt auf deren Abschreckung und Verunsicherung. Der
damit kalkuliert in Kauf genommene Effekt einer Nachfrage-Senkung führt
zu mehr Konkurrenz um weniger Kunden und hat Entgelt-Dumping und
Zwangsausstieg aus der [lexicon]Prostitution[/lexicon] zur Folge.
-
ARBEITSPLATZ-VERNICHTUNG: engmaschige sanktionsbewehrte Auflagen im
Rahmen der Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten sind eine Lizenz
zum Schließen der Häuser;
- ARBEITSPLATZ-VERNICHTUNG durch Verbot behördlich unliebsamer Formen von Prostitutionsausübung;
-
ARBEITSPLATZ-VERNICHTUNG infolge der Tatsache, dass neben den
„klassischen“ Prostitutionsstätten-Betreibern nun auch Vermieter/innen,
die ihre Wohnungen Sexarbeiter/innen überlassen, zu
konzessionspflichtigen Prostitutionsstätten-Betreibern werden;
-
VEREINZELUNG der Frauen: Nur Wohnungs-Inhaber/innen, die in ihrer
eigenen Wohnung selbst der [lexicon]Prostitution[/lexicon] nachgehen, sollen von der
Erlaubnispflicht ausgenommen sein. Ein Trend zur unsicheren
EIN-ZIMMER-WOHNUNGSPROSTITUTION ist damit vorgezeichnet
(5) NICHT NUR GEGEN PROSTITUTION, AUCH FRAUENFEINDLICH
Die
geplante Erlaubnispflicht von Prostitutionsstätten wird Folgen weit
über die [lexicon]Prostitution[/lexicon] hinaus haben: Vermieter/innen alleinstehender
Frauen mit häufig wechselndem „Herrenbesuch“ werden zu übergriffiger
Kontrolle und damit zu Eingriffen in deren Privatsphäre animiert, um
sich nicht dem möglichen Vorwurf des Führens einer unerlaubten
Prostitutionsstätte auszusetzen. Der Muff der 50er Jahre lässt grüßen!
(6) AUSWEITUNG STAATLICHER BEVORMUNDUNG
Letzteres
Beispiel verdeutlicht: Es geht hier nicht nur um
„Prostitutions-Politik“, also nicht allein darum, grobes Unrecht
gegenüber Sexarbeitern Einhalt zu gebieten. Es geht auch darum,
-
ob eine Gesellschaft die Anmaßungen der Rundum-Überwachung gegenüber
einer als missliebig hingestellten Berufsgruppe widerspruchslos
hinnimmt;
- ob polizeiliche Kontrolle ganzer Gewerbezweige bereitwillig als Normalzustand akzeptiert wird;
-
ob Menschen noch selbstbestimmt entscheiden können, welche Berufe sie
ergreifen und welche Dienstleistungen sie in Anspruch nehmen - oder ob
solche Entscheidungen zukünftig einer obrigkeitsstaatlichen
Überwachungsgesellschaft überantwortet werden;
- ob eine freie, das heißt selbst bestimmte und einvernehmlich ausgehandelte Sexualität zwischen erwachsenen Menschen
ungehindert
stattfinden darf – oder ob Sexualität zukünftig wieder zunehmend
staatlicher Bevormundung und repressiver Kontrolle unterworfen werden
soll.
(7) GLEICHBEHANDLUNG ODER SONDERBEHANDLUNG?
Natürlich
geht es auch um ein rechtlich geregeltes, einvernehmliches Miteinander
zwischen der Mehrheitsgesellschaft und denjenigen Menschen, die als
Dienstleistende oder Organisatoren mit dem Angebot von
Sexdienstleistungen befasst sind. Soll dieses Miteinander nach Maßgabe
rechtlicher Gleichbehandlung oder in Form diskriminierender
Sonderbehandlung erfolgen?
(8) SEXARBEITER NICHT ERNST GENOMMEN
Sexarbeiter/innen haben sich dazu wiederholt, öffentlich und eindeutig positioniert:
Sie haben vor den absehbar negativen Folgen der regierungsoffiziellen Politik gewarnt.
Sie haben eigene Anregungen und begründete Forderungen vorgetragen.
Sie
haben darüber hinaus einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der
dokumentiert, dass sie sich einer sinnvollen Reglementierung ihrer
Tätigkeit nicht verweigern, sofern diese auf der Anerkennung gleicher
Rechte, rechtlicher Gleichbehandlung und Respekt gründet.
Doch
Anregungen, Einwände und Forderungen seitens der Sexarbeiter/innen
fanden und finden bei den Regierungspolitikern kein Gehör. Die
Bundesregierung hält es nicht für nötig, diese auf Erfahrung gestützten
und gut begründeten Forderungen auch nur ansatzweise ernst zu nehmen.
(9) UNSER PROTEST IST EINE NOTWENDIGE KONSEQUENZ
Deswegen
ist eine große, zentrale Protestaktion dringender denn je, um den
berechtigten Forderungen derer, um die es angeblich geht, öffentlich
Gehör zu verschaffen und durchzusetzen.
Die von uns ins Auge gefasste
zentrale Protestaktion für die Rechte von Sexarbeiter/innen in der
[lexicon]Prostitution[/lexicon] soll zeitlich in unmittelbarer Nähe zum Internationalen
Hurentag, der sich 2015 zum 40. Male jährt, also im Juni 2015 in
Frankfurt/Main stattfinden. Vorschlag ist Samstag, der 13. Juni 2015. In
der Frankfurter Paulskirche tagte 1848 die erste deutsche
Nationalversammlung und erarbeitete die Paulskirchen-Verfassung. Ein
guter Ort also, daran zu erinnern, dass 160 Jahre später
Sexarbeiter/innen in der Bundesrepublik Deutschland die
verfassungsmäßigen demokratischen Grundrechte bis heute nur massiv
eingeschränkt gewährt werden, sodass von einer ungehinderten faktischen
Wahrnehmung dieser Rechte keine Rede sein kann.
(10) FÜR FREIE BERUFSAUSÜBUNG IN DER PROSTITUTION
Angesichts
dessen bitten wir Sie, dem von der Großen Koalition aufgeführten
Trauerspiel um die erneute repressive Reglementierung von [lexicon]Prostitution[/lexicon]
gemeinsam mit uns eine klare und deutliche Absage zu erteilen. Es geht
um das Recht auf ungehinderte und freie Berufsausübung in der
[lexicon]Prostitution[/lexicon], und zwar auf Grundlage einer rechtlichen Gleichbehandlung
von [lexicon]Prostitution[/lexicon] mit anderen Erwerbstätigkeiten. Das - und nichts
anderes - sollte in Demokratien die Richtschnur für eine Reglementierung
von [lexicon]Prostitution[/lexicon] sein. Einer Zementierung bestehender rechtlicher
Diskriminierungen, einer Optimierung der Politik von Kontrolle und
Überwachung sowie der Fortsetzung einer bereits tausendfach
gescheiterten Politik der gesellschaftlichen Ausgrenzung von Sexarbeit
muss eine deutliche öffentliche Absage erteilt werden.
(11) EINE GRUNDSÄTZLICHE FRAGE DEMOKRATISCHER RECHTE
Unabhängig
davon, ob man persönlich die Ausübung und Inanspruchnahme von
[lexicon]Prostitution[/lexicon] befürwortet oder ablehnt, wäre es Ausdruck reifer
demokratischer Gesinnung und Liberalität, entschieden das
grundgesetzlich geschützte Recht derer zu verteidigen, die sich selbst
dafür entscheiden, sexuelle Dienstleistungen anzubieten und/oder
wahrzunehmen.
(12) WER SICH NICHT WEHRT, LEBT VERKEHRT
Gegenüber
der Macht der Regierenden ist die der Sexarbeiter/innen marginal. Es
ist kein politisches Kunststück, ihnen Rechte zu rauben und dabei
populistisch nach Beifall zu schielen. Sexarbeiter/innen in Deutschland
sind mehrheitlich Migrantinnen, sie kommen aus zig Nationalitäten. Sie
arbeiten in großer Zahl als Selbständige. Ihre Selbstorganisation ist
daher ein schwieriges Unterfangen. Hinzu kommt das gesellschaftliche
Stigma ihrer Tätigkeit.Umso nötiger erweist sich die Unterstützung einer
aufgeklärten Gesellschaft, die erkennt, dass der Abbau der Rechte von
Minderheiten die Rechte der Mehrheit nie unberührt lässt.
(13) VERSCHIEDENE FORMEN DER UNTERSTÜTZUNG
Aus
all den genannten Gründen und vielen weiteren hier nicht aufzählbaren
Formen der tagtäglichen Diskriminierung von Sexarbeiter/innen in der
[lexicon]Prostitution[/lexicon] bitten wir Sie, die von uns geplante Aktion für die Rechte
der Sexarbeiter/innen in der [lexicon]Prostitution[/lexicon] im Juni 2015 in Frankfurt/Main
beherzt und mit Nachdruck zu unterstützen.
Sollte eine Teilnahme
an dem Koordinierungstreffen nicht möglich sein, bitten wir Sie / Dich,
uns freundlicherweise mitzuteilen, welche der nachfolgend genannten
weiteren Formen der Unterstützung für Sie / Dich in Frage kommt:
Teilnahme am PROTEST (am 13. Juni 2015) in Frankfurt („5 vor 12“ – Opernplatz);
Aktive WERBUNG für ein breites Bündnis;
FINANZIELLE UNTERSTÜTZUNG eines Aktions-Kontos „Plattform 13. Juni“
Eintragung in UNTERSTÜTZERLISTE: Anforderung / Zusendung von Infos.
Andere IDEEN…
Doña Carmen e.V. dankt für jede Form der Unterstützung!
Dona Carmen e.V.
Elbestr. 41
60329 Frankfurt
http://www.donacarmen.de
Tel./Fax: 069 7675 2880
Spendenkonto
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